Berlin (EAST SEA) Montag, April 3rd, 2017 / 22:13

Vietnam und China: Was steckt hinter dem Streit um Inseln?

Das diesjähri­ge Fo­rum der WAPE in Ha­noi war An­lass und Ver­pflich­tung, uns mit den ak­tu­el­len Er­eig­nis­sen im „Ost-Meer“ (im in­ter­na­tio­na­len Sprach­ge­brauch meist als „Südchi­ne­si­sches Meer“ be­zeich­net), aber auch mit der Ge­schich­te Viet­nams wie­der zu be­fas­sen.

Der Auslöser für die jüngs­ten Aus­ein­an­der­set­zun­gen um die Pa­ra­cel-In­seln (viet­na­me­sisch Hoàng Sa, chi­ne­sisch Xi­sha Qúndao)[1] im Ost-Meer war die Be­fes­ti­gung ei­ner Öl-Bohr­platt­form in von der So­zia­lis­ti­schen Re­pu­blik (SR) Viet­nam und der Volks­re­pu­blik (VR) Chi­na be­an­spruch­ten Ge­bie­ten im Os­ten. Ob­wohl es im Ost-Meer auch zwi­schen an­de­ren Staa­ten Zu­sam­menstöße ge­ge­ben hat, ist in den Me­di­en hier die Rede vor al­lem von den Strei­tig­kei­ten zwi­schen den bei­den so­zia­lis­ti­schen Ländern.

Wir wer­den zunächst die völker­recht­li­chen As­pek­te der Fra­ge be­han­deln. Es folgt ein Ein­blick in die Ein­mi­schungs­ver­su­che des Im­pe­ria­lis­mus in die in­ne­ren An­ge­le­gen­hei­ten Viet­nams und wie die west­li­chen Ölkon­zer­ne in die­sem Kon­flikt in­vol­viert sind. Äußere Fak­to­ren können aber nur auf­grund in­ne­rer Vor­aus­set­zun­gen wir­ken. Des­we­gen zei­gen wir schlag­licht­ar­tig in­ne­re Wi­dersprüche der bei­den so­zia­lis­ti­schen Länder und die sich dar­aus er­ge­ben­den Anknüpfungs­punk­te für den Im­pe­ria­lis­mus. Am Schluss ge­hen wir auf die Auf­ga­ben bei der Lösung des Kon­flikts ein.

Die Auseinandersetzungen um die Inseln

Hin­ter der Aus­ein­an­der­set­zung um die In­seln ste­hen je­doch kom­pli­zier­te, völker­recht­li­che Pro­ble­me, wie sie nicht zu­letzt durch die UN­CLOS, die „UN-Kon­ven­ti­on über das See­recht“, ge­schaf­fen wur­den. Der Vor­sit­zen­de der „Ge­sell­schaft für die Freund­schaft zwi­schen den Völkern in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land und der So­zia­lis­ti­schen Re­pu­blik Viet­nam“, Prof. Günter Gie­sen­feld, schreibt hier­zu:

Im Jah­re 1982 wur­de, nach De­bat­ten, die fast ein Jahr­zehnt lang dau­er­ten, die ‚United Na­ti­ons Con­ven­ti­on on the Law of the Sea‘ (UN­CLOS) be­schlos­sen und trat in Kraft. Auf­grund die­ser Ver­ein­ba­rung wur­de seit­dem ein großer Teil der ‚Ho­hen See‘, also der Mee­re fern al­ler Küsten, auf­ge­teilt und Na­tio­nen und Staa­ten zu­ge­wie­sen in Form von ‚Ex­klu­si­ven Wirt­schafts­zo­nen‘ (EEZ), in de­nen die­se Staa­ten dann spe­zi­el­le Rech­te ausüben können, von de­nen das wich­tigs­te ein Qua­si-Ei­gen­tums­recht an den dort be­find­li­chen Fisch­vorräten und an al­len off­shore vor­kom­men­den Bo­denschätzen ist. Nicht berück­sich­tigt von die­ser ‚Pri­va­ti­sie­rungs­ak­ti­on‘ im in­ter­na­tio­na­len Aus­maß ist der Schiffs­ver­kehr, der wei­ter­hin un­be­grenzt sein soll, mit Aus­nah­me der be­reits gülti­gen na­tio­na­len Küsten­ge­bie­te. Die­se EEZ können sich um bis zu 650 km jen­seits der bis­her schon geschütz­ten ‚ter­ri­to­ria­len Gewässer er­stre­cken, wo­mit sich prak­tisch die ter­ri­to­ria­le Aus­deh­nung ei­nes Lan­des um die­se Dis­tanz ver­größert. Es war eine dras­ti­sche Verände­rung, durch die die ‚Hohe See‘ stark schrumpf­te und be­stimm­te Länder das Glück hat­ten, wich­ti­ge See­ge­bie­te vor ih­rer Küste oder weit ent­fern­te In­seln in ih­ren Be­sitz brin­gen zu können, was vor al­lem frühe­ren im­pe­ria­len Mäch­ten wie Frank­reich und Eng­land zu­gu­te kam, die aus ih­ren Ko­lo­ni­al­rei­chen ab­ge­le­ge­ne In­seln über die Zeit der De­ko­lo­ni­sa­ti­on hin­weg ret­ten konn­ten. … Die Ver­ein­ba­rung gab mit ei­nem Mal den am Meer lie­gen­den Staa­ten die Verfügung über 38 Mio sm² frei, d.h. über 87 Pro­zent al­ler be­kann­ten und ver­mu­te­ten Ölre­ser­ven so­wie fast sämt­li­cher Re­ser­ven an Mi­ne­ra­li­en. Die USA, die nach der neu­en Re­ge­lung An­spruch auf aus­ge­dehn­te EEZ auf drei Ozea­nen so­wie im Golf von Me­xi­ko und der Ka­ri­bik hätten, ha­ben das Ab­kom­men bis­her nicht ra­ti­fi­ziert, wahr­schein­lich aus der be­kann­ten Furcht her­aus, ir­gend­wel­che Kom­pro­mis­se ein­ge­hen zu müssen und sich in­ter­na­tio­na­len Ge­set­zen zu un­ter­wer­fen. … [Im asia­ti­schen Raum] lie­gen die ver­schie­de­nen Mee­res­an­rai­ner so nahe bei­ein­an­der, dass die je­wei­li­gen … Ansprüche be­grenzt wer­den müssen. Die UN­CLOS bie­tet dafür kei­ne Ver­fah­rens­re­geln an und geht da­von aus, dass die in­ter­es­sier­ten Staa­ten das un­ter­ein­an­der re­geln. Wenn man die Kar­te be­trach­tet, wird deut­lich, dass vor al­lem Ja­pan durch die neue Re­ge­lung begüns­tigt würde, wenn sie in höchstmögli­chem Aus­maß an­ge­wen­det würde. Ja­pan würde dann im Nord­pa­zi­fik und im Nord­west­pa­zi­fik aus­ge­dehn­te See­ge­bie­te zu­fal­len. Chi­na ist dem­ge­genüber durch sei­ne geo­gra­phi­sche Lage be­nach­tei­ligt. Sei­ne Küsten­li­nie ist zwar mit 30.000 km ge­ringfügig länger als die Ja­pans, bie­tet je­doch we­nig Raum zur Aus­deh­nung in die Wei­ten der Ozea­ne, weil dies sehr schnell durch nahe ge­le­ge­ne Staa­ten und ihre Ansprüche be­grenzt würde (Phil­ip­pi­nen, Ko­rea, Tai­wan, Ja­pan). Hin­zu kommt, dass Chi­na in der Zeit der ter­ri­to­ria­len Auf­tei­lung des Pa­zi­fik im 19. und 20. Jahr­hun­dert kei­ne Rol­le spiel­te. Heut­zu­ta­ge be­steht aus der Sicht Chi­nas die Ge­fahr, dass sein Zu­gang zum Pa­zi­fik durch die ver­schie­de­nen EEZ der Nach­bar­staa­ten, vor al­lem in ei­nem Kon­flikt­fall mit die­sen, blo­ckiert wer­den könnte. … Hin­zu kommt, dass in un­se­rer Zeit es nicht mehr nur und viel­leicht nicht mehr in ers­ter Li­nie die Na­tio­nal­staa­ten sind, die den Ver­tei­lungs­kampf do­mi­nie­ren, son­dern im­mer mehr die mul­ti­na­tio­na­len oder glo­ba­len Kon­zer­ne, für die oft die Re­gie­run­gen nur Agen­ten sind. … Wenn man die un­ge­heu­ren Vor­tei­le be­trach­tet, die Ja­pan durch die Be­schlüsse von UN­CLOS zu­ge­fal­len sind und da­ne­ben stellt, wie we­nig Chi­na von die­sen pro­fi­tie­ren konn­te und wenn man darüber hin­aus die seit Jahr­zehn­ten von Ja­pan und den USA be­trie­be­ne Po­li­tik des ‚con­tain­ment‘ ge­genüber Chi­na be­denkt, dann er­schei­nen die Ansprüche Chi­nas auf die Senka­ku und Diaoyu-In­seln eher be­schei­den, zu­mal sie in­ner­halb der 200-See­mei­len-Zone von der chi­ne­si­schen Küste lie­gen, sind aber ein wich­ti­ger Hin­weis auf die Be­deu­tung und Gefähr­lich­keit der da­hin­ter lie­gen­den Kon­flik­te, die noch gar nicht of­fen zu­ta­ge tre­ten. Nur mit dem Hin­weis dar­auf wird die schrof­fe Hal­tung Chi­nas verständ­lich, auf die­sen klei­nen Kon­flikt mit ei­ner großan­ge­leg­ten Kam­pa­gne zum Boy­kott ja­pa­ni­scher Ein­fuh­ren (vor al­lem Kraft­fahr­zeu­ge) zu re­agie­ren.

In­zwi­schen ha­ben die USA ve­he­ment und de­mons­tra­tiv ihre mi­litäri­sche Präsenz in Südost­asi­en verstärkt. Die Re­gie­rung will ei­ge­nen Ankündi­gun­gen zu­fol­ge bis 2020 60 Pro­zent al­ler See­streit­kräfte (inkl. 6 Flug­zeug­träger) im Pa­zi­fik sta­tio­nie­ren. Of­fen wird dies da­mit begründet, man sol­le ei­ner chi­ne­si­schen Aufrüstung ent­ge­gen tre­ten.“ (Viet Nam Ku­rier 2/​2012, S. 8 ff.)

Zu­sam­men­ge­fasst heißt das u.E.

– Kei­nes der Länder, die Ansprüche auf die In­seln er­he­ben, hat eine ge­si­cher­te recht­li­che Grund­la­ge für sei­ne Ansprüche.[2]

– Bei der Auf­tei­lung der Mee­re gemäß UN­CLOS sind prin­zi­pi­ell vor al­lem die im­pe­ria­lis­ti­schen Mächte USA, Ja­pan, Eng­land und Frank­reich be­vor­zugt, die VR Chi­na da­ge­gen ist stark be­nach­tei­ligt.

– Die VR Chi­na (zu­sam­men mit Russ­land) wird von den Re­gie­run­gen der im­pe­ria­lis­ti­schen Länder zu­neh­mend als Gefähr­dung der ei­ge­nen Welt­herr­schaft ge­se­hen und (nicht nur) vom US-Im­pe­ria­lis­mus be­droht und pro­vo­ziert.

Von da­her ist es verständ­lich, dass die VR Chi­na von al­len de­mo­kra­ti­schen, an­ti­im­pe­ria­lis­ti­schen und re­vo­lu­ti­onären Kräften Verständ­nis und So­li­da­rität ein­for­dert, um dem Vor­drin­gen des Im­pe­ria­lis­mus in der Re­gi­on ent­ge­gen­zu­tre­ten.

Ob das Ein­brin­gen ei­ner Ölplatt­form in um­strit­te­ne Gewässer die ge­eig­ne­te Maßnah­me ist, darf be­zwei­felt wer­den.

Viet­nam ver­tei­digt sei­ne (mögli­chen) Ansprüche nach­drück­lich und fried­lich.[3] Mit ei­ner ge­wis­sen Be­rech­ti­gung sieht es den chi­ne­si­schen Schritt als eine Be­dro­hung. Denn ne­ben den zahl­rei­chen ge­gen­sei­ti­gen Be­wei­sen der Un­terstützung, So­li­da­rität und Freund­schaft in den ge­mein­sa­men Kämp­fen der Ver­gan­gen­heit; trotz der zahl­rei­chen Be­kun­dun­gen der chi­ne­si­schen Sei­te zu Aus­gleich und Frie­den auch in der Fra­ge der In­seln seit 1990; und nicht zu­letzt trotz der en­gen wirt­schaft­li­chen Ver­flech­tung in der Ge­gen­wart ist die Er­fah­rung der chi­ne­si­schen mi­litäri­schen In­va­si­on von 1979, die vie­le Op­fer kos­te­te, nicht ver­ges­sen.[4]

Die Rolle des Imperialismus

Stut­zig mach­ten uns Äußerun­gen von hoch­ran­gi­gen viet­na­me­si­schen Repräsen­tan­ten, die wir während un­se­res Auf­ent­halts in Viet­nam in den eng­lisch­spra­chi­gen Viet Nam News nach­le­sen konn­ten.

In ei­nem In­ter­view mit der Nach­rich­ten­agen­tur Bloom­berg führte der viet­na­me­si­sche Pre­mier­mi­nis­ter Nguy­en Tan Dung[5] un­ter an­de­rem aus: „Die Ver­ei­nig­ten Staa­ten sind eine glo­ba­le Macht und eben­falls eine Macht der Asi­en-Pa­zi­fik-Re­gi­on. Wir hof­fen, dass die USA stärke­re, prak­ti­sche­re und ef­fek­ti­ve­re Beiträge zum Frie­den und der Sta­bi­lität in der Re­gi­on leis­tet.“ (Viet Nam News 2.6.2014).

Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter Ge­ne­ral Phung Quang Thanh führte zur Ver­tei­di­gung der viet­na­me­si­schen Po­si­ti­on die UN­CLOS von 1982, die Erklärung über das Ver­hal­ten der Par­tei­en im Ost-Meer und die sechs-Punk­te-Prin­zi­pi­en über das Ost-Meer der ASE­AN an“ (Viet Nam News 2.6.2014).

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