Das diesjährige Forum der WAPE in Hanoi war Anlass und Verpflichtung, uns mit den aktuellen Ereignissen im „Ost-Meer“ (im internationalen Sprachgebrauch meist als „Südchinesisches Meer“ bezeichnet), aber auch mit der Geschichte Vietnams wieder zu befassen.
Der Auslöser für die jüngsten Auseinandersetzungen um die Paracel-Inseln (vietnamesisch Hoàng Sa, chinesisch Xisha Qúndao)[1] im Ost-Meer war die Befestigung einer Öl-Bohrplattform in von der Sozialistischen Republik (SR) Vietnam und der Volksrepublik (VR) China beanspruchten Gebieten im Osten. Obwohl es im Ost-Meer auch zwischen anderen Staaten Zusammenstöße gegeben hat, ist in den Medien hier die Rede vor allem von den Streitigkeiten zwischen den beiden sozialistischen Ländern.
Wir werden zunächst die völkerrechtlichen Aspekte der Frage behandeln. Es folgt ein Einblick in die Einmischungsversuche des Imperialismus in die inneren Angelegenheiten Vietnams und wie die westlichen Ölkonzerne in diesem Konflikt involviert sind. Äußere Faktoren können aber nur aufgrund innerer Voraussetzungen wirken. Deswegen zeigen wir schlaglichtartig innere Widersprüche der beiden sozialistischen Länder und die sich daraus ergebenden Anknüpfungspunkte für den Imperialismus. Am Schluss gehen wir auf die Aufgaben bei der Lösung des Konflikts ein.
Die Auseinandersetzungen um die Inseln
Hinter der Auseinandersetzung um die Inseln stehen jedoch komplizierte, völkerrechtliche Probleme, wie sie nicht zuletzt durch die UNCLOS, die „UN-Konvention über das Seerecht“, geschaffen wurden. Der Vorsitzende der „Gesellschaft für die Freundschaft zwischen den Völkern in der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Vietnam“, Prof. Günter Giesenfeld, schreibt hierzu:
„Im Jahre 1982 wurde, nach Debatten, die fast ein Jahrzehnt lang dauerten, die ‚United Nations Convention on the Law of the Sea‘ (UNCLOS) beschlossen und trat in Kraft. Aufgrund dieser Vereinbarung wurde seitdem ein großer Teil der ‚Hohen See‘, also der Meere fern aller Küsten, aufgeteilt und Nationen und Staaten zugewiesen in Form von ‚Exklusiven Wirtschaftszonen‘ (EEZ), in denen diese Staaten dann spezielle Rechte ausüben können, von denen das wichtigste ein Quasi-Eigentumsrecht an den dort befindlichen Fischvorräten und an allen offshore vorkommenden Bodenschätzen ist. Nicht berücksichtigt von dieser ‚Privatisierungsaktion‘ im internationalen Ausmaß ist der Schiffsverkehr, der weiterhin unbegrenzt sein soll, mit Ausnahme der bereits gültigen nationalen Küstengebiete. Diese EEZ können sich um bis zu 650 km jenseits der bisher schon geschützten ‚territorialen Gewässer erstrecken, womit sich praktisch die territoriale Ausdehnung eines Landes um diese Distanz vergrößert. Es war eine drastische Veränderung, durch die die ‚Hohe See‘ stark schrumpfte und bestimmte Länder das Glück hatten, wichtige Seegebiete vor ihrer Küste oder weit entfernte Inseln in ihren Besitz bringen zu können, was vor allem früheren imperialen Mächten wie Frankreich und England zugute kam, die aus ihren Kolonialreichen abgelegene Inseln über die Zeit der Dekolonisation hinweg retten konnten. … Die Vereinbarung gab mit einem Mal den am Meer liegenden Staaten die Verfügung über 38 Mio sm² frei, d.h. über 87 Prozent aller bekannten und vermuteten Ölreserven sowie fast sämtlicher Reserven an Mineralien. Die USA, die nach der neuen Regelung Anspruch auf ausgedehnte EEZ auf drei Ozeanen sowie im Golf von Mexiko und der Karibik hätten, haben das Abkommen bisher nicht ratifiziert, wahrscheinlich aus der bekannten Furcht heraus, irgendwelche Kompromisse eingehen zu müssen und sich internationalen Gesetzen zu unterwerfen. … [Im asiatischen Raum] liegen die verschiedenen Meeresanrainer so nahe beieinander, dass die jeweiligen … Ansprüche begrenzt werden müssen. Die UNCLOS bietet dafür keine Verfahrensregeln an und geht davon aus, dass die interessierten Staaten das untereinander regeln. Wenn man die Karte betrachtet, wird deutlich, dass vor allem Japan durch die neue Regelung begünstigt würde, wenn sie in höchstmöglichem Ausmaß angewendet würde. Japan würde dann im Nordpazifik und im Nordwestpazifik ausgedehnte Seegebiete zufallen. China ist demgegenüber durch seine geographische Lage benachteiligt. Seine Küstenlinie ist zwar mit 30.000 km geringfügig länger als die Japans, bietet jedoch wenig Raum zur Ausdehnung in die Weiten der Ozeane, weil dies sehr schnell durch nahe gelegene Staaten und ihre Ansprüche begrenzt würde (Philippinen, Korea, Taiwan, Japan). Hinzu kommt, dass China in der Zeit der territorialen Aufteilung des Pazifik im 19. und 20. Jahrhundert keine Rolle spielte. Heutzutage besteht aus der Sicht Chinas die Gefahr, dass sein Zugang zum Pazifik durch die verschiedenen EEZ der Nachbarstaaten, vor allem in einem Konfliktfall mit diesen, blockiert werden könnte. … Hinzu kommt, dass in unserer Zeit es nicht mehr nur und vielleicht nicht mehr in erster Linie die Nationalstaaten sind, die den Verteilungskampf dominieren, sondern immer mehr die multinationalen oder globalen Konzerne, für die oft die Regierungen nur Agenten sind. … Wenn man die ungeheuren Vorteile betrachtet, die Japan durch die Beschlüsse von UNCLOS zugefallen sind und daneben stellt, wie wenig China von diesen profitieren konnte und wenn man darüber hinaus die seit Jahrzehnten von Japan und den USA betriebene Politik des ‚containment‘ gegenüber China bedenkt, dann erscheinen die Ansprüche Chinas auf die Senkaku und Diaoyu-Inseln eher bescheiden, zumal sie innerhalb der 200-Seemeilen-Zone von der chinesischen Küste liegen, sind aber ein wichtiger Hinweis auf die Bedeutung und Gefährlichkeit der dahinter liegenden Konflikte, die noch gar nicht offen zutage treten. Nur mit dem Hinweis darauf wird die schroffe Haltung Chinas verständlich, auf diesen kleinen Konflikt mit einer großangelegten Kampagne zum Boykott japanischer Einfuhren (vor allem Kraftfahrzeuge) zu reagieren.
Inzwischen haben die USA vehement und demonstrativ ihre militärische Präsenz in Südostasien verstärkt. Die Regierung will eigenen Ankündigungen zufolge bis 2020 60 Prozent aller Seestreitkräfte (inkl. 6 Flugzeugträger) im Pazifik stationieren. Offen wird dies damit begründet, man solle einer chinesischen Aufrüstung entgegen treten.“ (Viet Nam Kurier 2/2012, S. 8 ff.)
Zusammengefasst heißt das u.E.
– Keines der Länder, die Ansprüche auf die Inseln erheben, hat eine gesicherte rechtliche Grundlage für seine Ansprüche.[2]
– Bei der Aufteilung der Meere gemäß UNCLOS sind prinzipiell vor allem die imperialistischen Mächte USA, Japan, England und Frankreich bevorzugt, die VR China dagegen ist stark benachteiligt.
– Die VR China (zusammen mit Russland) wird von den Regierungen der imperialistischen Länder zunehmend als Gefährdung der eigenen Weltherrschaft gesehen und (nicht nur) vom US-Imperialismus bedroht und provoziert.
Von daher ist es verständlich, dass die VR China von allen demokratischen, antiimperialistischen und revolutionären Kräften Verständnis und Solidarität einfordert, um dem Vordringen des Imperialismus in der Region entgegenzutreten.
Ob das Einbringen einer Ölplattform in umstrittene Gewässer die geeignete Maßnahme ist, darf bezweifelt werden.
Vietnam verteidigt seine (möglichen) Ansprüche nachdrücklich und friedlich.[3] Mit einer gewissen Berechtigung sieht es den chinesischen Schritt als eine Bedrohung. Denn neben den zahlreichen gegenseitigen Beweisen der Unterstützung, Solidarität und Freundschaft in den gemeinsamen Kämpfen der Vergangenheit; trotz der zahlreichen Bekundungen der chinesischen Seite zu Ausgleich und Frieden auch in der Frage der Inseln seit 1990; und nicht zuletzt trotz der engen wirtschaftlichen Verflechtung in der Gegenwart ist die Erfahrung der chinesischen militärischen Invasion von 1979, die viele Opfer kostete, nicht vergessen.[4]
Die Rolle des Imperialismus
Stutzig machten uns Äußerungen von hochrangigen vietnamesischen Repräsentanten, die wir während unseres Aufenthalts in Vietnam in den englischsprachigen Viet Nam News nachlesen konnten.
In einem Interview mit der Nachrichtenagentur Bloomberg führte der vietnamesische Premierminister Nguyen Tan Dung[5] unter anderem aus: „Die Vereinigten Staaten sind eine globale Macht und ebenfalls eine Macht der Asien-Pazifik-Region. Wir hoffen, dass die USA stärkere, praktischere und effektivere Beiträge zum Frieden und der Stabilität in der Region leistet.“ (Viet Nam News 2.6.2014).
„Verteidigungsminister General Phung Quang Thanh führte zur Verteidigung der vietnamesischen Position die UNCLOS von 1982, die Erklärung über das Verhalten der Parteien im Ost-Meer und die sechs-Punkte-Prinzipien über das Ost-Meer der ASEAN an“ (Viet Nam News 2.6.2014).
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