Das eigentliche Problem für Chinas Nachbarn sind jedoch die Folgen, die aus diesem Anspruch resultieren. China ist mit seinem Militär im Südchinesischen Meer präsent und lässt andere Staaten die eigenen Ansprüche auf die Region empfindlich spüren. Bislang waren die USA im Westpazifik die dominierende Macht, doch sie haben jetzt Konkurrenz aus Peking. Aus dem einstigen Herausforderer ist ein Rivale auf Augenhöhe geworden.
Deutschland will Präsenz zeigen
Der Handelskonflikt Donald Trumps mit China, dessen weltwirtschaftliche Folgen gerade mit einem ersten Abkommen etwas abgefedert wurden, ist ein Ausdruck dessen, genauso wie beispielsweise der Streit um Chinas latent spionageverdächtiges Telekomunternehmen Huawei.
Wie angespannt die Lage ist, zeigt sich an Äußerungen wie der eines Sprechers der chinesischen Volksbefreiungsarmee. Er ließ jetzt verkünden, man werde im Südchinesischen Meer verstärkt Manöver fahren, um für “unerwartete Konfrontationen” gewappnet zu sein. Und selbst im weit entfernten Deutschland sprach Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer unlängst davon, mit den Verbündeten im indopazifischen Raum Präsenz zeigen zu wollen. Dies gelte auch im Südchinesischen Meer, erklärte dazu der Inspekteur der Marine, Andreas Krause. Wie konnte es so weit kommen?
Um ihren Machtbereich auszubauen, hat die chinesische Regierung in den vergangenen zehn Jahren im Meer so viele Claims wie möglich abgesteckt und dafür weit von der eigenen Küste entfernt liegende Riffe und Sandbänke besetzt, zu Inseln aufgeschüttet und als militärische Außenposten ausgebaut. Dafür wurden zwischen 2013 und 2018 fast 13 Quadratkilometer Land gewonnen mit insgesamt drei Startbahnen für Militärflieger, dazu neun Hubschrauberlandeplätze, neun Häfen und 13 Radarstationen. Zwanzig Außenposten hat China heute allein auf den Paracel-Inseln, sieben auf den Spratlys.
Was die Lage noch verwickelter macht, ist, dass es im Meer zahlreiche Inseln gibt, auf die mehrere Anrainerstaaten teilweise überlagernde Ansprüche erheben. Besonders brisant ist die Situaton auf den Spratlys, deren größter Teil von Vietnam besetzt ist und wo noch vier weitere Anrainerstaaten Inseln kontrollieren.
Die Militarisierung des Südchinesischen Meers durch vor allem China hat einen der global wichtigsten Seewege innerhalb von ein paar Jahren zu einem Spannungsgebiet schlechthin gemacht. Immerhin gehen hier laut den Vereinten Nationen (UNCTAD) fast 30 Prozent des Welthandelsdurch, das Meer hat reichhaltige Fischgründe und wohl auch Öl- als auch Gasfelder, dazu verlaufen zahlreiche Flugrouten über dem Meer. Und vor allem: die USA sind im Westpazifik seit 1945 mit ihren Flotten und Stützpunkten wie auf dem pazifischen Guam die militärisch dominierende Macht. Alles weist daraufhin, dass China die USA hier unbedingt ablösen will.
Deswegen rüstet China seit Langem schon kräftig auf. Viele Jahre lang geschah das im Geheimen. Konkrete Zahlen zu ihrem Wehretat und den Streitkräften nennt die Regierung in Peking bis heute nicht. Die Friedensforscher von SIPRI, einem Institut aus Stockholm, sehen das Land dennoch auf Platz zwei der Nationen, die am meisten Geld für ihre Streitkräfte ausgeben – hinter den Vereinigten Staaten. 250 Milliarden soll China laut den schwedischen Konfliktforschern für die Armee aufgewendet haben, immerhin 14 Prozent der weltweiten Militärausgaben. In den vergangenen zehn Jahren stieg der Rüstungsetat um 83 Prozent.
Die Regierung Trumps gab 2018 fast so viel aus wie die acht Staaten auf den Plätzen zwei bis neun der SIPRI-Rangliste zusammen. Doch gerade in den Programmen der Amerikaner zur Modernisierung des Waffenarsenals und zum Ausbau des Militärs sieht China eine Herausforderung. Denn bereits unter Präsident Barack Obama hatten die Amerikaner offiziell angekündigt, sich künftig stärker auf den Westpazifik konzentrieren zu wollen.
China hat keine Alliierten
Peking versucht auf der anderen Seite, die Kontrolle über Teile des Meeres zu gewinnen, indem es die Bewegungsfreiheit für Kriegsschiffe beschränkt. Fremde Regierungen sollen jetzt die zuständigen Stellen in China darüber informieren, wenn deren Marineeinheiten das Südchinesische Meer an den neuen Außenposten entlang passieren.
Die USA ignorieren das jedoch und fahren innerhalb der von China beanspruchten Zwölf-Seemeilen-Hoheitsgewässerzonen nahe den umstrittenen Inselstützpunkten sogenannte Freedom of Navigation-Operationen, seit 2015 bereits mindestens 15 Mal. Auch die Taiwanstraße passieren die US-Marine und Nato-Verbündete regelmäßig. Die KP-Regierung in Peking beansprucht die demokratische und autonom regierte Inselrepublik Taiwan für sich.
Im Januar 2019 hielten die USA mit Großbritannien zudem ein Manöver im Südchinesischen Meer ab, im Mai durchfuhr die US-Marine gemeinsam mit Booten aus Indien, den Philippinen und Japan die umstrittenen Gewässer an Chinas Außenposten. Inzwischen verlangt Chinas Regierung selbst für die Anschlusszonen der Hoheitsgewässer – die bis zu 200 Seemeilen weit reichende sogenannte Ausschließliche Wirtschaftszone – eine Durchfahrtgenehmigung.
Die Ausweitung von Einflusszonen und die Freedom of Navigation-Fahrten sind symbolische Demonstrationen militärischer Macht, in deren Folge es aber zu teilweise gefährlichen Zwischenfällen kommt. So wie vor einem Jahr, als der amerikanische Zerstörer USS Decatur an den Spratlys von einem chinesischen Kriegsschiff blockiert und bedroht wurde. China und die USA treffen zudem im Luftraum über dem Meer aufeinander, 2014, 2016 und 2017 behinderten chinesische Abfangjäger US-Aufklärungsflugzeuge, die im internationalen Luftraum unterwegs waren.
Mit Wasserkanonen gegen Fischerboote
Außer über künstliche Inseln und mit Kriegsschiffen manifestiert China seine Präsenz im Südchinesischen Meer mit der weltweit größten Küstenwachflotte, der China Coast Guard (CCG), die zur Bewaffneten Volkspolizei Chinas gehört und 2013 aus vier zum Teil paramilitärischen Grenzschutzdiensten hervorging. 130 Patrouillenboote hat die CCG, die neueren sind ausgestattet mit Helikopteranlagen und Wasserkanonen. Von den 70 größeren Zusammenstößen, die seit 2010 im Südchinesischen Meer registriert wurden, war in fast zwei Drittel der Fälle mindestens ein Polizeiboot aus China beteiligt, wurde am “CSIS ChinaPower Project” ermittelt.
Am 6. März beispielsweise beschoss ein chinesisches Schiff ein vietnamesisches Fischerboot mit Wasserkanonen, das im Discovery-Reef in den Paracel-Inseln unterwegs war. Das Fischerboot lief daraufhin auf dem Riff auf und versank. Aber auch die kleineren Staaten tragen untereinander Scharmützel aus, so wie Ende April, als bei den Natuna-Inseln ein vietnamesisches Fischerboot von einem indonesischen Marineschiff aufgebracht und die Fischer verhaftet wurden, woraufhin zwei Fischereiüberwachungsboote aus Vietnam wiederum das indonesische Schiff rammten.
Vietnam und Indonesien gehören aber gleichzeitig zu den Staaten, die angesichts der Aggressivität Chinas die Nähe zu Washington suchen. Weitreichende Sicherheitsgarantien der USA bestehen mit Taiwan und im Norden mit Japan und Südkorea. Als verlässliche Militärpartner der Vereinigten Staaten gelten auch Thailand, Singapur und die Philippinen. Im Ostchinesischen Meer streitet sich China außerdem mit Japan um die Senkaku-Diaoyu-Inseln, die von Tokio kontrolliert werden.
Die strategische Verlässlichkeit der USA hat für die westpazifischen Staaten durch den unkalkulierbaren Donald Trump allerdings stark gelitten. China auf der anderen Seite hat keine Alliierten oder befreundete Staaten in seiner Nachbarschaft. Allenfalls Kambodscha und Laos stehen Peking etwas näher, mit Kambodscha soll es einen Geheimvertrag geben, der China die Nutzung eines Marinestützpunktes am Golf von Thailand ermöglicht. Beide Staaten sind arm und freuen sich über Geld vom großen Nachbarn. Nordkorea, von China abhängig, ist wegen seines unberechenbaren Diktators ein schwieriger Vasall. Mit Russland hält China inzwischen Manöver ab. Die Regime misstrauen sich, sie eint aber ihre Abneigung gegenüber der US-amerikanischen Vormachtstellung.
China bestückt U-Boote mit strategischen Nuklearraketen
Um den Einfluss der USA auf die Nachbarländer Chinas weiter zu beschneiden, lässt Peking gezielt Waffen entwickeln, mit denen die Amerikaner auf Abstand gehalten werden sollen – und mit denen ein Vergeltungsangriff möglich wäre, sollte es zur direkten Konfrontation kommen. Dazu gehören autonome Systeme wie bewaffnete Langstreckendrohnen und Schiffsroboter mit großer Reichweite, Schadprogramme und Spionagesoftware für den Cyberkrieg sowie biologische Waffen.
Interessant sind für die Chinesen auch Hypersonic Weapons, Flugkörper mit vielfacher Schallgeschwindigkeit. So wie die chinesische DF-ZF, auch WU 14 genannt. Experten in Amerika fürchten, dass das Waffensystem für die amerikanische Raketenabwehr zu schnell ist. Die USA und Russland haben ebenfalls solche Hightech-Flugkörper, Indien und andere Staaten arbeiten daran. Allein mit dem erfolgreichen Test der DF-ZF 2014 untermauerte die chinesische Armee ihren Anspruch, zu den weltweit stärksten Streitkräften zu zählen.
Amerikanische Flugzeugträgerverbände will China mit modernen Antischiffraketen aus den unmittelbaren Gewässern fernhalten. Die Träger sind gefährliche Waffensysteme, sie gelten aber als sehr verwundbar, sind teuer und haben derart große Besatzungen, dass ein Verlust besonders schmerzhaft wäre. Die chinesische Volksbefreiungsarmee soll zudem über 1000 bis 1200 moderne Kurzstreckenraketen mit bis zu 1000 Kilometern Reichweite verfügen, sie dienen als Schutzglocke über dem ost- und südchinesischen Meer. Jedes amerikanische Kriegsschiff, das sich der Küste Chinas in diesem Radius nähert, kann damit bekämpft werden. 1996 beendete eine Machtdemonstration der USA mit zwei Flugzeugträgergruppen die gerade akut gewordene Taiwan-Krise. Die US-Marine hatte die Verbände in die Konfliktzone entsandt und China brüskiert. Heute wäre ein solches Vorgehen sehr viel riskanter.
Die Dongfeng-26-Rakete kann Guam treffen
Auch um dieses Arsenal behalten zu können, ist die Regierung in Peking nie dem INF-Vertrag beigetreten, der die Ausbreitung solcher Raketen verhindern sollte und jüngst von Amerikanern und Russen aufgekündigt wurde. China hat das Ende des Vertrages kritisiert – vermutlich, weil das Regime eine weitere Aufrüstung Amerikas mit Mittelstreckenraketen fürchtet.
Jüngst präsentierte Chinas Führung ihr Arsenal sehr selbstbewusst auf der Militärparade zum 70. Jahrestag der Volksrepublik in Peking. Darunter waren auch weiter entwickelte Raketen, wie die Dongfeng-21D, die in den USA als Flugzeugträger-Killer gilt, und bereits eine Reichweite von 1.500 Kilometer aufweist. Dazu zeigte das Militär die Dongfeng-26, ein Geschoss, mit dem die US-Basis auf der Pazifikinsel Guam getroffen werden kann.
Heute bestreitet niemand mehr, dass China in der Lage ist, Flugzeugträger in großer Entfernung zu versenken oder den Stützpunkt auf Guam zu zerstören. Und das Land zeigte auch, dass seine Langstreckenraketen mobil sind. Die Geschosse der Dong-Feng-Reihe benötigen nicht zwingend ein unterirdisches Startsilo. Sie können auch von mobilen Startrampen aus abgefeuert werden und wären deswegen im Kriegsfall für Gegner viel schwerer aufzuspüren und zu bekämpfen als festinstallierte Systeme.
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