Berlin (EAST SEA) Freitag, Mai 3rd, 2019 / 04:17

EU – ASEAN: Ferne Partner (Teil 2)

Die sogenannte „Asienkrise“, die der stürmischen wirtschaftlichen Entwicklung der gesamten Region einen herben Rückschlag versetzte, mobilisierten aber auch die Kräfte in der ASEAN, die auf eine Intensivierung der Zusammenarbeit und eine rechtliche Kodifizierung dieser Zusammenarbeit drängten. Jene Vorstellungen einer „ASEAN-Community“, die 1997 in der „ASEAN-Vision“ ihren ersten Ausdruck gefunden hatten, wurden schließlich 2007 in der ASEAN-Charta präzisiert und in klar definierte juristische Normen gefasst. Bereits fünf Jahre zuvor hatte man ein Drei Säulen Modell entworfen, das diese ASEAN-Community konstituieren sollte: eine „Political-Security Community“, eine „Economic Community“ und eine „Socio-Cultural Community“.

Die innere Konsolidierung der ASEAN bildete eine wichtige Voraussetzung für ihr internationales Auftreten, für ihre Rolle als internationaler Akteur. Schon in den siebziger Jahren hatte die ASEAN damit begonnen, mit externen Mächten Dialogpartnerschaften einzurichten. Angefangen mit Australien und Neuseeland 1974/75 folgten bis Mitte der 90ger Jahre insgesamt zehn solcher Dialogpartner, darunter die USA, Indien und die VR China. Den jährlichen Treffen der Außenminister der ASEAN folgt regelmäßig ein Treffen der Außenminister der ASEAN mit denen der Dialogpartner.

Darüber hinaus hat die ASEAN eine ganze Reihe von regionalen und internationalen Dialogforen eingerichtet, mit denen sie sich als Motor und Koordinator der ökonomischen wie sicherheitspolitischen Zusammenarbeit nicht nur in Südostasien sondern ganz Asien zu etablieren und zu profilieren versucht. Die erste dieser Plattformen war  1994 das „ASEAN Regional Forum“. Es folgten der ASEAN+3 Dialog (VR China, Japan, Südkorea), der „East Asia Summit“, das Treffen der ASEAN Verteidigungsminister mit den Verteidigungsministern ihrer wichtigsten Dialogpartner, „Regional Economic Partnership Programme“ zwischen der ASEAN und jenen Staaten, mit denen die ASEAN ein Freihandelsabkommen abgeschlossen hat.

Von zentraler Bedeutung sind hierbei die Beziehungen und Vereinbarungen, welche die ASEAN mit der VR China getroffen hat. Peking war der ASEAN ja lange Zeit eher misstrauisch gegenüber gestanden und darin eine Kraft gesehen, die seinen Interessen widersprach. Vielmehr entsprach es dem chinesischen Kalkül, die Beziehungen zu seinen Nachbarn im Süden auf bilateraler Ebene zu verbessern. 1991 besuchte der damalige Außenminister Chinas, Qian Qichen, zum ersten Mal ein Ministertreffen der ASEAN. Fünf Jahre später wurde die VR China offiziell Dialogpartner der ASEAN. Offensichtlich hatte die chinesische Regierung erkannt, dass es sich bei der ASEAN um eine Organisation mit eher weichen Strukturen handelte, die man durch Engagement im eigenen Sinne beeinflussen konnte,  während eine konfrontative Haltung zu einem gegenteiligen Effekt führen könnte. So gelang es, denn auch 2002 der VR China mit den ASEAN-Staaten eine gemeinsame „Declaration on Conduct of the parties in the South China Sea“ zu unterzeichnen, obgleich sich keinerlei Annäherung in der Frage der territorialen Streitigkeiten zwischen China und den anderen Anrainerstaaten der Südchinesischen See abgezeichnet hatte. Gleichzeitig wurde zwischen China und der ASEAN eine Freihandelszone vereinbart, die in der Folgezeit eine sehr viel größere Wirkung entfalten sollte, als die „Declaration on Conduct“.

Ungeachtet all der Unterschiede in der Entwicklung der EU und der ASEAN zeichnen sich doch in 90ger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wie im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts einige vergleichbare Herausforderungen ab, die man mit vergleichbaren Strategien zu bewältigen versuchte. Beide Organisationen unternahmen erhebliche Anstrengungen, die Zusammenarbeit zu vertiefen, dafür verbindliche Normen festzulegen und entsprechende Strukturen aufzubauen. Neue Mitglieder, die noch in den 80ger Jahren in Konfrontation zu diesen Gemeinschaften gestanden hatten, wurden in die EU wie die ASEAN aufgenommen, die nun über eine wesentlich größerer Fläche und Bevölkerungszahl verfügten. Doch damit wuchsen natürlich auch die Herausforderungen, die eine intensivere Integration zwangsläufig mit sich brachte. Letztere war aber unbedingt nötig, wenn man die Rolle eines eigenständigen Akteurs auf internationaler Ebene spielen wollte, der eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik durchzusetzen versuchte.

Die Parallelität der Herausforderungen, vor denen sich die EU wie die ASEAN gestellt sahen, schuf ein gutes Klima für eine engere Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Regionalorganisationen. Stand das gesamte Handelsvolumen zwischen der EU und ASEAN 1990 bei 56,5 Milliarden US$, so steigerte sich dieses Volumen innerhalb von acht Jahren um mehr als das Vierfache. 2018 lag es bei 243,6 Milliarden US$. Die EU wurde somit nach der VR China der zweitgrößte Handelspartner der ASEAN. Umgekehrt war die ASEAN der drittgrößte Handelspartner der EU nach den USA und China, wobei zu berücksichtigen ist, dass viele Importgüter aus der VR China Teile enthalten, die in Südostasien gefertigt wurden. Darüber hinaus wurde die EU zum größten Investor in der ASEAN, deren Investitionen weit über denen der VR China und anderen wichtigen Handelspartnern der ASEAN lagen.

Im nichtkommerziellen Bereich wurden die Länder Südostasiens zu einem sehr erfolgreichen Partner der europäischen Entwicklungszusammenarbeit, die in anderen Teilen der Welt weniger spektakuläre Ergebnisse vorzuweisen hatte und hat. Dass einige Länder Südostasiens den Sprung vom Entwicklungsland zum Schwellenland geschafft haben, ist nicht zuletzt auf diese erfolgreiche Zusammenarbeit zurückzuführen. Denn diese Entwicklungszusammen-arbeit war ja nicht auf die klassischen Projektfelder begrenzt, sondern sie erstreckte sich auch auf wissenschaftlichen und kulturellen Austausch angefangen universitären Austauschprogrammen bis hin zum Tourismus.

Im Bereich der Sicherheitspolitik bzw. der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit wurde jedoch nicht das Niveau erreicht, das man auf wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Ebene hatte erreichen können. Dass eine solche Zusammenarbeit im elementaren Interesse der EU liegt, zeigt ein Blick auf die südchinesische See. Der wirtschaftliche Erfolg der EU beruht zu einem großen Teil auf ihrer als eine der weltweit größten Handelsmächte. 90% des weltweiten Handels werden über internationale Schifffahrtsrouten abgewickelt. 30% dieser Routen führen durch die südchinesische See. Jede Gefährdung dieser Schifffahrtslinien stellt daher eine ernste Gefährdung für den Handel zwischen der EU und ihren Partnern in Ost- und Südostasien aber auch für die europäischen Investitionen in dieser Region dar. Eine Eskalation der Konflikte in der südchinesischen See stellt darüber hinaus jene fundamentale Prinzip in Frage, das die EU weltweit propagiert und das auch in der ASEAN-Charta aufgenommen wurde: eine auf rechtlichen wie demokratischen Prinzipien basierende regionale Zusammenarbeit.

Angesichts dieser eindeutigen Interessenlage ist es verwunderlich, dass die EU und die ASEAN erst 2007 in einer gemeinsamen Erklärung sicherheitspolitische Herausforderungen thematisierten und vereinbarten, sich in sicherheitspolitischen Fragen gegenseitig zu konsultieren und zu kooperieren. Darüber hinaus wurde in der Erklärung ausdrücklich die „ASEAN Vision 2020“ begrüßt, in der weitere Integrationsschritte in den Bereichen Sicherheit, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft aufgezeigt wurden. Doch diesen Erklärungen folgten keine weiteren Schritte. Im November 2011 forderte Wolfgang Ischinger, schon damals Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz, dass die EU mehr Präsenz im asiatischen Raum zeigen müsse.

Im darauf folgenden Jahr zeigte denn auch die EU ein deutlich größeres Engagement als in der Vergangenheit. Die damalige Außenbeauftragte der EU Catherine Ashton sprach von ihrem „Asian Semester“. Im April 2012 besuchte sie den ASEAN-EU Gipfel in Brunei, im Juli nahm sie am „ASEAN Regional Forum“ teil und unterzeichnet dort den 1967 von der ASEAN verabschiedeten Grundlagenvertrag.  Obgleich die EU bereits 1994 dem „ASEAN Regional Forum“ beigetreten war, hatte noch nie ein solch hochrangige VertreterIn der EU an dem Treffen des Forums teilgenommen, stattdessen hatte man sich auf eine Beobachterrolle zurückgezogen. Darüber hinaus wurden 2012 zwei Dokumente unterzeichnet und ratifiziert, die Richtlinien und Felder der zukünftigen Zusammenarbeit zwischen der EU und ASEAN aufzeigten: der „Bandar Seri Begawan Plan of Action to Strengthen the ASEAN-EU Enhanced Partnership (2013 -2017)“ und „Guidelines on the EU’s Foreign and Security Policy in East Asia“.

Im Unterschied zu der gemeinsamen Erklärung aus dem Jahr 2007 wurde hier auf die Konflikte in der südchinesischen See  in einem eigenen Kapitel eingegangen. Explizit benennen die „Guidelines“ auf die Gefahr eines militanten Nationalismus, der zu einer gefährlichen Eskalation der vorhandenen Konflikte führen könnte ungeachtet der wachsenden ökonomischen Interdependenz zwischen den Ländern der Region. Die EU unterstütze daher mit großem Nachdruck alle Bemühungen um eine regionale Integration und das Entstehen einer effektiven, regelbasierten und multilateralen Sicherheitsarchitektur.

Was ist daraus geworden?

Wenn wir aus der Distanz von etlichen Jahren auf jene Aktivitäten und Erklärungen zu Beginn dieses Jahrzehnts blicken, so lässt sich folgende Bilanz ziehen. Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der EU und der ASEAN sind weiter gewachsen. In dem Maße, in dem die wirtschaftlichen Beziehungen zu der VR China in Europa kritischer gesehen werden, eröffnen sich für den Handel und die Investitionen der EU in Südostasien neue Möglichkeiten und Räume. Ebenso haben sich die Beziehungen in den Bereichen Kultur und Bildung weiter verstetigt, auch wenn diese von Land zu Land recht unterschiedlich verlaufen sind. Dies können Sie sicherlich im Einzelnen sehr viel besser und differenzierter beurteilen als ich. Ein weltweites Anwachsen der Tourismusströme haben natürlich auch zu einem Anwachsen der Tourismusströme zwischen Europa und Asien geführt; wobei zum ersten Mal auch signifikantes Anwachsen der Tourismuszahlen von Südostasien nach Europa zu verzeichnen ist.

Die stärksten Defizite taten sich hingegen in den Bereichen politischer oder sicherheitspolitischer Zusammenarbeit auf. Spitzenpolitiker der EU sind zu wenig in Südostasien präsent. Das „Asian Semester“ von Catherine Ashton war offensichtlich kurz und erfuhr keine Verlängerung. In den letzten Jahren haben Europas Erfahrungen und Vorstellungen von regionaler Integration und Sicherheitsarchitektur in Südostasien allenfalls rhetorische Anerkennung gefunden.  Das vor geraumer Zeit vom damaligen belgischen Ministerpräsidenten Mark Eyskens ebenso selbstkritische wie zutreffende Urteil: „Die EU ist ein wirtschaftlicher Riese, ein politischer Zwerg und ein militärischer Wurm“ scheint sich in Südostasien erneut zu bewahrheiten.

Was sind die Ursachen hierfür?

Was sind die Ursachen dafür, dass der politische wie der sicherheitspolitische Dialog zwischen der EU und der ASEAN ins Stocken geraten ja fast zum Erliegen gekommen ist . Ich spreche hier nicht nur vom Austausch auf höchster Ebene, den Treffen von Spitzenpolitikern sondern von einer breiten politischen Debatte in den Medien und in einer Öffentlichkeit, die man gemeinhin als track two beschreibt.

Das liegt zunächst an dem Bild, das die EU in den vergangenen Jahren nach außen ausgestrahlt hat. Lange Zeit galt der Satz des ehemaligen ASEAN-Generalsekretärs Surin Pitsuwan: „Die EU sind für uns keine Modell, aber eine Inspiration“. Solche Sätze sind seit einiger Zeit nicht mehr zu hören. Die Ursachen hierfür sind Ihnen allen vertraut. Schuldenkrise, Migration, Brexit, Anwachsen rechtspopulistischer Strömungen, die in einigen Mitgliedsländern die Regierung stellen und Konzepte wie die „illiberale Demokratie“ propagieren, die grundlegenden Werten der EU diametral widersprechen.

Der wichtigste Partner der EU die USA stellen nicht nur gemeinsame Werte in Frage sondern versuchen sich wirtschaftliche Konkurrenten zu profilieren, die sich von wirtschaftlicher Abschottung größeren Wohlstand versprechen als von wirtschaftlicher Kooperation und sich von Konfrontation ein höheres Maß an Sicherheit versprechen als von Kooperation und mühsam ausgehandelten Kompromisslösungen. Die VR China ist zwar an der EU als gemeinsamer Markt und als starker wirtschaftlicher Akteur interessiert, versucht aber nach Kräften, die Risse in der EU zum eigenen Vorteil zu nutzen, das Abstimmungsverhalten einiger EU-Mitglieder im Sinn der chinesischen Politik zu beeinflussen und sie in politische Formate einzubinden wie z. B. 16 +1 oder die Belt and Road Initiative.

Die inneren Konflikte der EU und die Kräfte von außen, die auf die EU einwirken und jene disruptiven Tendenzen weiter verstärken, verhindern im zunehmenden Maße, dass die EU als unabhängiger Akteur auf der internationalen Bühne auftreten kann oder gar ernstgenommen wird. Die Konflikte in Syrien wie auch die Versuche ihrer Beilegung belegen dies allzu deutlich. Einer der größten Erfolge der Diplomatie der EU, das Uran-Abkommen mit dem Iran, wurde mit der Aufkündigung dieses Abkommen durch die USA, praktisch zunichte gemacht. All das untergräbt natürlich auch das Ansehen und die Autorität der EU in Südostasien und andern Teilen Ostasiens. Denn ein Akteur, der Konflikten in seiner unmittelbaren und mittelbaren Nachbarschaft mehr oder weniger hilflos gegenübersteht, wird natürlich kaum in der Lage sein, Entwicklungen in geographisch weit entfernten Gebieten in seinem Sinne zu beeinflussen.

Leider ergibt sich auf Seiten der ASEAN ein vergleichbares Bild. Der Unterschied liegt vielleicht darin, dass bei der EU Rückschritte in der Kooperation zu verzeichnen sind, während bei der ASEAN eher mangelnde Fortschritte bei der Verwirklichung des Beginn dieses Jahrhunderts in Angriff genommenen Drei-Säulenmodells einer „Political Security Community“, einer „Economic Community“ und einer „Social Cultural Community“ zu konstatieren sind. Obgleich von diesen drei Säulen die „Political Security Community“ an erster Stelle genannt wird, sind gerade in diesem Bereich die geringsten Fortschritte festzustellen.

In der südchinesischen See sind die ASEAN-Staaten mit einer Politik der VR China konfrontiert, die durch den Ausbau ihrer Marine- und Luftstreitkräfte sowie durch die Aufschüttung künstlicher Inseln und deren Bestückung mit modernen Raketensystemen und leistungsfähigen Überwachungssystemen ihre militärische Position konsequent ausgebaut hat. Gleichzeitig gelang es der VR China, durch ökonomische Anreize manchmal auch durch Sanktionen uneingeschränkte Unterstützung bei einigen Regierungen der ASEAN wie z.B. Kambodscha zu erzielen andere von einer Chinakritischen Haltung abzuhalten. Kein ASEAN-Staat hat es daher gewagt, Chinas manifeste Aufrüstung in der südchinesischen See zu thematisieren oder gar offen zu kritisieren. Die Verhandlungen über einen Code of Conduct hatten 2002 zur Unterzeichnung einer „Declaration on Conduct of the Parties in the Southchina Sea“ geführt, doch seitdem sind zwar unzählige Erklärungen verabschiedet und Gesprächsrunden unterschiedlichen Formats abgehalten worden, aber keine Vereinbarung über einen gemeinsamen „Code of Conduct“ getroffen worden. Chinas Aufrüstung hat vielmehr auch in den ASEAN-Staaten einen manifesten Aufrüstungsprozess ausgelöst, der aber zwischen den einzelnen ASEAN-Staaten nicht abgestimmt ist und teils von einer sehr schrillen nationalistischen Rhetorik begleitet ist. Wir müssen daher auch in Südostasien eine Entwicklung konstatieren, die oft als „Asian Paradox“ bezeichnet wird. Nämlich auf der einen Seite eine zunehmende ökonomische Verflechtung, nicht nur Handels- und Warenströme sondern auch Fertigungsketten umspannen die die ganze Region die VR China eingeschlossen und schaffen ökonomische Abhängigkeiten, die die Volkswirtschaften der einzelnen Länder fest aneinander binden. Auf der anderen Seite fehlt jedoch eine sicherheitspolitische Architektur, die diesen ökonomischen Beziehungen einen verlässlichen Rahmen bietet. Der Versuch einiger ASEAN-Staaten, die militärische Präsenz der USA, Japans, vielleicht auch Indiens oder sogar Russlands zu nutzen, um in Südostasien ein militärisches Gleichgewicht herzustellen, klingt plausibel, ist aber mit großen Risiken behaftet. Da die EU über keine eigenen militärischen Kapazitäten verfügt, um fern der eigenen Grenzen operieren zu können, wird sie in solchen militärstrategischen Überlegungen und Modellen keine Rolle spielen können.

Es zählt zu den elementaren Erkenntnissen Europas, die aus bitteren Erfahrungen zweier Weltkriege gewonnen wurde, dass die Ziehung von Grenzen, die Räume der Souveränität über Territorium, Menschen und natürliche Ressourcen Zentimeter genau definieren, sich bei der Beilegung von Konflikten als wenig hilfreich erwiesen haben. Ein auf Völkerrecht und verbindlichen Regeln basiertes System regionaler und internationaler Kooperation hat – ungeachtet aller Defizite – sehr viel größere Stabilität erzielen können. In dem Maße, in dem auf militärische Macht zur Durchsetzung politischer Ziele gesetzt wird und multilaterale Vereinbarungen durch bilaterale Deals ersetzt werden, die sich an einem kurzfristigen und kurzsichtigen Kosten-Nutzen-Denken orientieren, finden dagegen jene europäischen Normen und Aushandlungsverfahren immer weniger Resonanz und Akzeptanz in Südostasien wie in anderen Teilen der Welt.

Die von mir skizzierte Bilanz der Beziehungen zwischen Europa und Südostasien zwischen der EU und der ASEAN gibt wenig Anlass zu Optimismus. Die Zeiten, in denen sich die EU und die ASEAN als erfolgreichste Regionalorganisationen auf internationaler Ebene profilieren konnten, scheinen in weite Ferne gerückt zu sein. Stattdessen breitet sich Skeptizismus und Ernüchterung aus. Letztere kann ja durchaus einen sehr heilsamen Effekt haben, im Sinne des schönen Zitats von Bert Brecht: „Denken ist was auf Schwierigkeiten folgt und dem das Handeln vorausgeht.“ Kurzum Krisen bieten die Chance, das Handeln nochmal zu überdenken und zu reflektieren.

Ein erster Schritt sollte hierbei eine kritische Einschätzung des eigenen Kräftepotenzials und Handlungsspielraums sein. In der Vergangenheit wurde dieser oft überschätzt. Der „Bandar Seri Begawan Plan of Action to Strengthen the ASEAN-EU Enhanced Partnership (2013 -2017)“ von 2012 entwirft z. B. ein so breites Tableau von Kooperationsfeldern, dass man sich eher an den Weihnachtswunschzettel eines sehr unbescheidenen Kindes erinnert fühlt als an einen klug durchdachten Handlungsrahmen, der in einem überschaubaren Zeitrahmen umgesetzt werden kann. Es ist daher wenig verwunderlich, dass man 2018 auf eine Evaluation dieses Plans und seiner Ergebnisse verzichtete.

Eine solche Überschätzung der eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten folgt in aller Regel Enttäuschung und eine depressive Unterschätzung der eigenen Möglichkeiten. Aus solch einer Handlungsunfähigkeit wird man nur herauskommen, wenn man zunächst das eigene Potenzial realistisch einschätzt und entsprechende Schwerpunkte setzt. Es müssen klar umrissene Handlungsfelder definiert und Partner identifiziert werden, die für dieses Projekt am geeignetsten sind. Letzteres erscheint selbstverständlich, aber häufig wird die Wahl der Counterparts von Überlegungen bestimmt, von denen man sich eine schnelle Vereinbarung des Projekts verspricht.

Die EU unterhält in Südostasien eine Reihe gut ausgestatteter diplomatischer Vertretungen, die – nach meinem Dafürhalten – zu geringe Präsenz zeigen. Stärker als in der Vergangenheit sollten sie sich damit befassen, konkrete Kooperationsprojekte zu entwickeln, der erstes Kriterium eben nicht sein sollte, dass „sie hoch angesiedelt sind“, sondern dass sie Wirkung zeigen.

In Zeiten, in denen die Beziehungen auf hoher politischer Ebene ins Stocken geraten sind und sich nicht in dem Maße und in der Richtung entwickeln, wie man das noch vor einigen Jahren gehofft hatte, kommt den Beziehungen auf anderen, politisch weniger prominenten Ebenen eine besondere Bedeutung zu. Die EU muss Softpower entwickeln und soziale Gruppen ansprechen, von denen man sich erhoffen kann, dass sie die öffentliche Meinung und die Politik prägen werden. Der Zusammenarbeit im Bereich von Bildung und Ausbildung kommt hier eine besondere Verantwortung zu und es müssen auch die notwendigen Mittel bereitgestellt werden, um diesen hohen Erwartungen nachkommen zu können.

Diese Politik braucht einen langen Atem und ein Engagement, das sich an den grundlegenden Erfahrungen Europas orientiert. Das mag mitunter nicht so attraktiv sein, wie jene Politik, die sich alleine an den eigenen Interessen orientiert, die zur Verfügung stehenden Machtmittel rigoros einsetzt und ein allenfalls selektives Verständnis völkerrechtlicher Normen hat. Natürlich lassen sich mit solch einem Vorgehen überraschend große Handlungsspielräume eröffnen, die Frage ist, ob sie auf Dauer Stabilität schaffen und Konflikte erfolgreich beilegen können. Wer die europäische Geschichte kennt, kennt eine Reihe solcher Versuche, allein militärische Macht zur Durchsetzung seiner Ziele einzusetzen und alle Normen internationalen Rechts auszusetzen. Man ist sich daher auch der hohen Kosten ihres Scheiterns bewusst./.

Dr Gerhard Will

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