Berlin (EAST SEA) Donnerstag, April 2nd, 2020 / 22:03

Vietnams stiller Auftaktsieg über das Virus

Anders als manch reiche Industrienation hat das asiatische Schwellenland die Covid-19-Epidemie bislang eindämmen können. Lässt sich das Erfolgsrezept auch in westlichen Demokratien anwenden?

Vietnamesische Polizisten in Schutzkleidung vor einem provisorischen Zentrum für Corona-Tests in Hanoi Bild: EPA

von Till Fähnders, Singapur – 01.04.2020

Till Fähnders Politischer Korrespondent für Südostasien. F.A.Z.

In der Frühphase der Pandemie war ein Musikvideo zu einem Internethit geworden, in dem zum regelmäßigen Händewaschen aufgerufen wurde. „Lass uns die Hände waschen. Reib, reib, reib sie gleichmäßig! Lass die Finger von Augen, Nase, Mund. Und gehe nicht an überfüllte Orte. Bekämpfe Corona, Corona!“, so lautete der Refrain. Das Video stammt aus Vietnam und war von der dortigen Gesundheitsbehörde in Auftrag gegeben worden. Weniger Aufmerksamkeit bekam das Land seither dafür, dass es mit frühen Maßnahmen die Krise relativ gut in den Griff bekommen hat. Während Singapur, Südkorea und Taiwan gelobt werden, wird Vietnams Reaktion auf das Virus kaum gewürdigt. Und das trotz der Hindernisse durch ein geringeres Budget, eine hohe Bevölkerungsdichte und ein weniger entwickeltes Gesundheitssystem.

Schon frühzeitig hatte Vietnam Schulen und Universitäten geschlossen, die Grenzen zu China dichtgemacht, positiv Getestete isoliert und Kontaktpersonen bis ins dritte und vierte Glied ausfindig gemacht. Auf Basis weniger Fälle wurden Hunderte Menschen in Quarantäne gesteckt. Als erstes Land nach China hatte Vietnam eine Gemeinde mit 10.000 Einwohnern komplett abgeriegelt, nachdem dort mehrere Fälle von Covid-19 aufgetreten waren. „In Vietnam sind die Erinnerungen an den Sars-Ausbruch noch frisch. Aus diesem Grund haben sie das, was in China passierte, von Beginn an sehr ernst genommen“, sagt Todd Pollack, ein Fachmann für ansteckende Krankheiten der Harvard Medical School in Hanoi.

Dank der Maßnahmen hatte Vietnam anfänglich nur 16 Fälle verzeichnet. Am 25. Februar verkündete die Führung stolz, dass alle Erkrankten kuriert seien. Rund drei Wochen lang hatte es keinen Fall mehr gegeben. „Wenn der Kampf gegen Covid-19 ein Krieg ist, dann haben wir die erste Schlacht gewonnen“, sagte Vize-Ministerpräsident Vu Duc Dam. Auch das öffentliche Leben lief noch mit einigen Einschränkungen weiter. Es werden Masken getragen und an öffentlichen Einrichtungen Temperaturen gemessen. „Ich lebe in Hanoi, hier kann man normal rausgehen. Aber wir sind angehalten, sozialen Abstand zu halten“, sagt Pollack. Restaurants, Bars und Karaokeläden sind erst seit kurzem geschlossen. Supermärkte und Apotheken bleiben geöffnet. „Sie können Handdesinfektionsmittel kaufen, Essen und sogar Klopapier“, sagt Pollack.

Mittlerweile wurden 204 Menschen positiv auf das Coronavirus getestet, deutlich weniger als in den meisten Nachbarländern. Außerdem hat Vietnam keinen einzigen Todesfall durch Covid-19 zu vermelden. Die zweite Ansteckungswelle geht auf den Reiseverkehr aus Europa zurück, der noch für eine Zeit weitergelaufen war. Auf einem Flug aus London saß eine 26 Jahre alte Vietnamesin, die sich beim Shopping in London, Mailand und Paris angesteckt hatte. Danach wurden weitere Passagiere positiv getestet, unter ihnen Touristen, die das Virus in verschiedene Landesteile weitergetragen hatten. Die meisten Neuansteckungen wurden zuletzt aber in einem der größten Krankenhäuser festgestellt.

Seitdem das Virus zurückgekehrt ist, hat Vietnam auch seine Schutzmaßnahmen verschärft. Alle Einreisenden werden nun für 14 Tage in Quarantäne gesteckt. 75.000 Menschen befinden sich in den vom Militär betriebenen Zentren und unter häuslicher Quarantäne. Visa bekommt man nicht mehr, und wer in den besonders betroffenen europäischen Ländern war, darf nicht einreisen. Am Montag hat Ministerpräsident Nguyen Xuan Phuc die Großstädte angewiesen, sich auf einen „Lockdown“ einzustellen. Und von Mittwoch an gilt eine 15 Tage währende Phase der „sozialen Distanzierung“. Es darf nur noch vor die Tür gehen, wer essentielle Dinge zu erledigen hat, wie Einkaufen oder das Erreichen des Arbeitsplatzes.

Zwang, Überwachung und Denunziation

Nicht alle Maßnahmen des von der Kommunistischen Partei beherrschten Landes lassen sich aber auf ein demokratisches System übertragen, und das wäre auch nicht wünschenswert. Ein Grund für die vietnamesischen Erfolge ist etwa die Mobilisierung der Bevölkerung durch Massenkampagnen, Textnachrichten und Propaganda. Eine wichtige Rolle spielen Zwang, Überwachung und Denunziation. Es gibt eine Smartphone-App, in der alle Bürger ihren Gesundheitsstatus deklarieren sollen. Bei Falschangaben drohen Strafen. Ebenfalls scharf vorgegangen wird gegen die Verbreitung sogenannter Fake News über das Virus. 800 Menschen wurden schon aufgrund dieses Gesetzes bestraft. Es ist zu befürchten, dass so auch legitime Kritik abgewürgt wird.

„Das Bewusstsein ist extrem hoch und auch die soziale Kontrolle“, sagt Peter Girke von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Hanoi. Anwohner und Touristen werden auf der Straße darauf hingewiesen, dass sie in der Öffentlichkeit Masken zu tragen haben. Es gab auch Fälle, in denen Chinesen und Europäer als potentielle Virenträger angefeindet wurden. Das autoritäre System Vietnams erlaubt auch eine schnelle Mobilisierung von medizinischem und militärischem Personal. Ärzte und Schwestern opfern sich auf, Soldaten überlassen ihre Schlafplätze den Menschen in Quarantäne. Anders als im Falle Chinas gibt es aber kaum Zweifel an den offiziellen Fallzahlen in Vietnam.

Nicht ganz zu Unrecht verkündet die Führung, dass der eigentliche Kampf nun erst richtig beginnt. Todd Pollack sieht Schwierigkeiten auf Vietnam zukommen. „Am Anfang braucht man nicht so viele Ressourcen. Sie müssen nur das Problem identifizieren und es bekämpfen. Aber wenn die Fallzahlen steigen und die Zahl der Kontakte, die Zahl der Menschen, die getestet werden und in Quarantäne müssen, dann könnte dies die Ressourcen des Landes übersteigen“, sagt Pollack. Nicht zuletzt dürften die wirtschaftlichen Folgen das Schwellenland schwer treffen.

Quelle: F.A.Z.

https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/anti-corona-strategie-vietnams-etappensieg-ueber-das-virus-16705312.html?GEPC=s3&premium=0x7fb2b8309bf2f622e94e3213327d4272

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