Berlin (EAST SEA) Dienstag, Februar 19th, 2019 / 22:24

VIETNAM-KRIEG – Kim Phuc: “Ich dachte, nun würde ich hässlich sein”

Sie ist “das Mädchen auf dem Foto”, eine Ikone des Vietnamkriegs. Am Montag ist Kim Phuc für ihren Einsatz für kriegstraumatisierte Kinder mit dem “Dresden-Preis” ausgezeichnet worden. Die DW hat sie dort getroffen.

Das Foto ging um die Welt: Menschen fliehen vor dem Flammenmeer, das ihr Dorf in Schutt und Asche legt. Eine der Flüchtenden: ein nacktes Mädchen mit verbrannter Haut. Es ist die neunjährige Phan Thi Kim Phuc.

Der Fotograf Nick Ut bringt die verletzten Kinder auf dem Foto in ein Krankenhaus in Saigon, Kim Phuc überlebt knapp mit schwersten Verbrennungen. Als junge Frau wird sie vom kommunistischen Regime in Vietnam ausfindig gemacht, das sie für die Staatspropaganda benutzt. 1992 dann entflieht sie der Staatsmacht: Auf einem Flug von Kuba nach Russland verlässt Kim Phuc mit ihrem Ehemann bei einem Zwischenstopp in Kanada das Flugzeug und erhält politisches Asyl. 1997 wird sie kanadische Staatsbürgerin und gründet die Kim Phuc Foundation – eine Stiftung, die kriegstraumatisierten Kindern medizinische und psychologische Hilfe anbietet. Nun wurde sie für ihre Arbeit mit dem internationalen Friedenspreis “Dresden-Preis” ausgezeichnet.

Ihr Rufname Kim Phuc bedeutet “Goldenes Glück”, sagt die 55-Jährige, und inzwischen könne sie sich mit diesem Namen identifizieren.

DW: Kim Phuc, erinnern Sie sich noch an das erste Mal, als Sie das Foto gesehen haben?

Phan Thi Kim Phuc: Ja, ich erinnere mich sehr gut. Es war, als ich aus dem Krankenhaus nach Hause kam. Ich habe mich sehr geschämt. Warum war ich nackt, und meine Brüder und Cousins hatten Kleider an? Mein Gesicht war so hässlich, so verzweifelt, ich weinte … Als Kind fand ich das Bild so hässlich. Ich mochte es überhaupt nicht.

Wann hat sich das geändert?

Mit dem Älterwerden. Und zehn Jahre später war mir klar, welch großen Einfluss dieses Bild auf die Menschen hatte. Ich schämte mich nicht mehr, aber es bedeutete mir auch nicht allzu viel, bis ich selbst Mutter wurde. Mit meinem Sohn auf dem Arm habe ich mir das Bild angesehen und dachte: Keinem Kind auf der Welt darf solches Leid angetan werden, wie diesem kleinen Mädchen da. Von dem Augenblick an gab mir das Bild Kraft. Als es aufgenommen wurde, hatte ich keine Wahl. Jetzt bin ich frei, ich habe eine Wahl, und dieses Bild hat mich dazu gebracht, mich für den Frieden einzusetzen.

Phan Thi Kim Phuc und Nick Ut (picture alliance/ZUMA Press/R. Chiu)Kim Phuc mit dem Fotografen und Pulitzer-Preisträger Nick Ut 1994 in Los Angeles

“Ich sah vier Bomben fallen, und dann war überall Feuer”

Wie erinnern Sie sich an den Moment, in dem das Bild aufgenommen wurde?

Ich war gerade neun Jahre alt geworden. Der Sommer lag vor uns und vor mir die vierte Klasse. Als meine Eltern erfuhren, dass der Krieg unser Dorf erreichen würde, haben wir Zuflucht im Tempel gesucht und uns dort für drei Tage versteckt. Als wir gerade beim Mittagessen waren, kam ein Soldat und schrie, wir sollten laufen. Aber ich blieb wie angewurzelt vor dem Tempel stehen. Dann ging alles unglaublich schnell: Ich sah vier Bomben fallen, und dann war überall Feuer. Es brannte mir die Kleider vom Körper, und ich sah, wie es meinen linken Arm verbrannte. Und ich weiß noch, ich dachte, nun würde ich hässlich sein.

Dann packte mich die Angst und ich fing an zu rennen. Erst als ich aus den Flammen herauskam, sah ich meine Brüder, meinen Cousin und ein paar Soldaten, und ich rannte, bis ich vor Erschöpfung zusammenbrach. Ein Soldat gab mir etwas Wasser, er goss Wasser über mich, und dann wurde ich ohnmächtig. Und dieser Moment – vor allem wegen des Fotos – änderte mein Leben für immer.

Wie hat das Ihr Leben verändert?

Meine Haut wird nie wieder sein wie früher. Ich habe große Schmerzen. Als Kind habe ich deswegen sehr viel geweint. 14 Monate lang blieb ich im Krankenhaus, während dieser Zeit wurde ich 16 Mal operiert. Später wurde ich ein weiteres Mal operiert, und zwar in Deutschland, um die Beweglichkeit der Haut zu erhöhen. Ich habe meine Kindheit verloren, ein ganzes Schuljahr verpasst. Das habe ich später aufgeholt (lacht), aber ich war traumatisiert, ich hatte häufig Alpträume. Und wir haben bei dem Angriff alles verloren: Wir haben wirklich nur überlebt.

Kim Phuc Vietnam Napalm Angriff (picture-alliance/AP Photo/N. Ut)Das Foto “The Terror of War” des Fotografen Nick Ut vom 8. Juni 1972 wurde zum “Pressefoto des Jahres” gewählt

“So wurde ich zum zweiten Mal Opfer einer Macht”

Haben Sie sich als Opfer gefühlt?

Als Kind habe ich darüber nicht viel nachgedacht, aber später schon. Ich sehe jeden Tag meine Narben, muss mit den Schmerzen fertig werden. Aber ich bin nicht nur ein Opfer des Krieges. Als die vietnamesische Regierung mich entdeckte, begannen Sie mich für ihre Propaganda zu benutzen: Ich konnte nicht mehr zur Schule gehen, meinen Träume nicht mehr nachgehen, ich stand unter permanenter Kontrolle. So wurde ich zum zweiten Mal zum Opfer einer Macht. Aber gerade deswegen bin ich so dankbar für das, was ich heute habe: Weil ich durch den Krieg gegangen bin, kenne ich den Wert des Friedens. Und ich weiß ihn zu schätzen.

Wann haben Sie die Kontrolle über Ihr Leben zurückgewonnen?

Wenn ich frei bin, habe ich eine Wahl. Als Kind hatte ich Träume, große Träume. Und es war lange Zeit schwierig, diese Träume aufrechtzuerhalten. Als ich in Kanada geblieben bin, wusste ich, dass ich das Richtige tat. Und jetzt bin ich frei. Dafür bin ich sehr dankbar.

“Ich kann diesen Kindern sagen: Ich war da, wo du jetzt bist”

Jetzt helfen Sie Kindern, die Opfer von Krieg geworden sind. Warum ist Ihnen das so wichtig?

Ich war eines der Millionen von Kindern, die Opfer von Kriegen werden. Und ich bin so dankbar dafür, dass man mir eine Zukunft gegeben hat! Und ich danke Gott, dass ich noch lebe. Und ich lebe nicht in Kummer, Bitterkeit oder Hass, sondern mit der Liebe der Menschen, die mich umgeben. Sie inspirieren mich, und ich habe nun die Möglichkeit, etwas zurückzugeben. Ich kann diesen Kindern sagen: Ich war da, wo du jetzt bist, und ich möchte dir helfen. Wenn du von Schmerzen sprichst, verstehe ich dich, wenn du von Hass und Gewalt sprichst, verstehe ich dich. Was du brauchst, ist Frieden und Freude. Und ich tue das nicht aus einer Pflicht heraus, sondern weil sie mir wirklich am Herzen liegen.

Wenn Sie sich die Welt heute ansehen, denken Sie, die Dinge werden besser oder sehen Sie mehr Grund zur Sorge?

Ich bin sehr froh, dass so viele Menschen so viel tun, aber es gibt noch viel mehr zu tun.
Wir haben immer die Hoffnung, diese Welt zu einem besseren Ort zu machen. Und meine Botschaft ist: Wenn jeder lernt, mit Liebe, Hoffnung und Vergebung zu leben, dann brauchen wir keinen Krieg mehr. Und wenn das kleine Mädchen auf dem Bild es kann, dann kann es jeder.

 

Der Dresden-Preis ist ein internationaler Friedenspreis, der seit 2010 jedes Jahr um den Jahrestag der Bombardierung von Dresden am 13. Februar 1945 verliehen wird. Der Preis ist mit 10.000 Euro dotiert. In der Preisbegründung für Kim Phuc heißt es: “Wir leben in Zeiten, in denen der Hass grassiert. Aber immer wieder sind es gerade Opfer von Gewalt und Krieg, die sich dem Hass verweigern. Sie zeigen menschliche Größe, die alle Hass-Prediger beschämt. So wie Kim Phuc Phan Thi es tut und damit zu einem weltweiten Vorbild geworden ist.”

Das Interview führte Gönna Ketels auf Englisch. Deutsche Adaption: Jan D. Walter

Quelle: https://www.dw.com/de/kim-phuc-ich-dachte-nun-würde-ich-hässlich-sein/a-47468050

 

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